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5. 6. 09. Quedlinburger Feldflur – Mekka für Naturschützer und FachbotanikerKurzexkursion zum Schutzacker für Ackerwildkräuter in den Quedlinburger Seweckenberge Mit dem Vordringen des Getreideanbaus in der Jungsteinzeit wanderten auch begleitende ein- und zweijährige Pflanzenarten aus dem vorderen Orient bzw. aus dem Mittelmeerraum in das heutige Mitteldeutschland ein. Dabei kam es zu einer gemeinsamen Evolution der Nutzpflanzen ( z. B. auch des Leins) und der begleitenden Wildpflanzen mit dem Ergebnis, dass eine nahezu perfekte Anpassung dieser er Wildpflanzen an die Anbauweise z. B. der Getreidearten, an den Vegetationsablauf, an die Gestalt der Kulturpflanzen und sogar an die Form der Nutzpflanzensamen erfolgte. Es ist ein Effekt der Anpassung ( eigentlich: unbewußte Auslese von Formen mit erblich fixierten entsprechenden Eigenschaften) , wenn die Samen dieser Wildpflanzen ohne Verlust der Keimfähigkeit mehrere Jahre in tieferen Bodenschichten überliegen können und erst dann keimen, wenn sie in den Bereich der Erdoberfläche gelangen. Die flache Bodenwendung vor der Aussaat beim Winter- oder Sommergetreideanbau früherer Jahrhunderte vollzog genau diesen Vorgang. Tieferes Pflügen nach einer Brache mit reichem Samenanfall der Wildkräuter brachte diese Samen wieder in tiefere Bodenschichten für eine Langzeitsamenruhe. Mit der mittelalterlichen einfachen Samenreinigung konnten die Samen des Leins nicht vollständig von den ganz ähnlichen Schötchen des wilden Leindotters bereinigt werden. Das Mitwachsen mit dem Getreidebestand sicherte dem schlanken einjährigem blutroten Sommeradonisröschen das fortdauernde Überleben. Die so entstandenen Wildkrautarten sind ein biologisches und gleichzeitig historisches Zeugnis für die Entwicklung der Landwirtschaft und speziell des Getreideanbaus seit den ersten Anfängen, z. B. hier in Mitteldeutschland. Sie sind deswegen auch ein Kulturdenkmal. Dies sollte uns bewusst sein. Mit der Intensivierung der modernen Landwirtschaft erlischt Schritt für Schritt die Jahrtausende fortwährende gemeinsame Existenz von angepaßtem Wildkraut und Getreide. Zunächst wurde die Brache aufgegeben und dafür Hackfrüchte angebaut, die unkrautfrei gehackt wurden. Dann wurde tiefer gepflügt – zu tief für viele Wildkrautsamen, um wieder an die Oberfläche gewendet zu werden. Moderne Saatgutreinigung kennt keinen Pardon für Wildkräuter. Es wurden Herbizide entwickelt, die spezifisch dosiert jede Wildpflanze im Getreidebestand auslöschen. Schließlich haben auch die umweltpolitischen Instrumente versagt, die auf einem kleinen Teil der Ackerfläche eine Koexistenz von Kulturpflanze und Wildkraut sichern sollten - z. B. die geförderten Ackerrandstreifenprogramme oder der rechtliche Schutz für Ackerraine, die weitestgehend bis an den Weg umgepflügt sind und weiterhin umgepflügt werden. Unstrittiger Landverlust durch Straßen, Gewerbe und Industrie wird so in kleinen Portionen kompensiert. Um unter diesen Rahmenbedingungen die von der Existenzauslöschung durch den Menschen bedrohten Wildkrautarten, die eben nicht nur eine Gruppe seltener Pflanzen darstellen, sondern auch Denkmal für Entwicklung unserer Ackerkultur sind, zu erhalten, wurde jetzt unter Federführung der Universität Göttingen ein neues Artenschutzprogramm begründet. Der Kerngedanke: 100 Schutzäcker bundesweit in Deutschland von der Größe jeweils eines Hektars können bei Fortsetzung des traditionellen Getreideanbaus , d. h. insbesondere Anbau ohne Herbizidanwendungund und bei reduzierter Düngung, auch die zukünftige Existenz der in Deutschland einheimischen gewordenen Ackerwildkräuter nachhaltig sichern, biologische Vielfalt erhalten. Solche Schutzäcker setzen das Vorhandensein eines Restbestandes möglichst vieler der hier in Betracht kommenden Ackerwildkräuter voraus. Voraussetzung ist außerdem, dass der Landeigentümer oder der Bodennutzer bereits sind, einen persönlichen Beitrag zur Rettung der Wildkräuterflora vor dem Ausrotten und Aussterben zu erbringen. Dabei ist es ein Ziel des Natur-und Artenschutzes, die Ertragsverluste und den entstehenden Mehraufwand bei der Bewirtschaft eines „Schutzackers“ finanziell zu kompensieren. Es ist ein ganz besonderer Glücksumstand, dass im Bereich der Altkreise Quedlinburg und Halberstadt 3 Ackerflächen existieren, die mit dem noch vorhandenen Artenspektrum an Ackerwildkräutern die Voraussetzungen für einen Schutzacker erfüllen. Im Bereich der Seweckenberge konnten mit der Pächterfamilie König ein Landnutzer gefunden werden, der für die Realisierung des Schutzprogrammes volle Unterstützung gewährleistet (wofür auch an dieser Stelle ganz besonders Dank gesagt werden soll). Der hier etablierte Schutzacker von etwas mehr als 1 ha Größe war das Ziel der Kurzexkursion der Mitglieder der IG Ornithologie und Naturschutz Quedlinburg. In diesem Jahr erfolgt die Nutzung der Fläche als Brache. Die Flora dieser Brachfläche bot allen Exkursionsteilnehmern ein einmaliges Erlebnis. Geprägt ist der Blühaspekt durch das Sommeradonisröschen – auch wenn der nicht fehlende Klatschmohn natürlich ein farbkräftigeres „Aushängeschild“ ist. Folgende Arten wurden bei diesem „Kurzbesuch“ festgestellt:

Sommeradonis -Adonis aestivalis, Rundblättriges Hasenohr - Bupleurum rotundifolia, Sonnenwend-Wolfsmilch- Euphorbia helioscopia, Kleine Wolfsmilch – Euphorbia exigua, Ackerkohl –Conringia orientalis, Acker-Glockenblume – Campanula rapunculoides, Feldrittersport – Delphinium regalis, Ackerklatschmohn –Papaver rhoeas, Verwechselte Trespe -Bromus commutatus, Hopfen-Luzerne - Medicago lupulina, Ackersteinsame – Lithospermum arvense, Schlitzblättriger Storchschnabel – Geranium dissectum, Sophienrauke – Descurainia sophia, Hunds-Kerbel –Anthriscus caucalis, Gemeiner Klettenkerbel -Torilis japonica, Leindotter - Camelina, Geruchlose Kamille –Tripleurospermum maritimum, Ackerhaftdolde – Caucalis platycarpos, Blauer Gauchheil –Anagallis foemina, Finkensame – Neslia paniculata .

Mit diesem Artenreichtum an Ackerwildkräutern wird Quedlinburg zum Mekka für Naturschützer und Fachbotaniker. Es bleibt die Frage, wie zukünftig die finanziellen Aufwendungen abgesichert werden können. Aktuell werden die Kosten durch die Uni Göttigen getragen. Beteiligt ist auch der Landwirt. Die Landgesellschaft Sachsen-Anhalt will aus ihrem Ökopool (Ausgleichfonds) Leistungen erbringen.