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Appell der Interessengemeinschaft Ornithologie und Naturschutz Quedlinburg für den Erhalt des naturgeschützten Wanderfalken im Bodetal bei Thale

Insbesondere in Fernsehberichten wurde in der letzten Zeit dargestellt, wie z. B. der Lebensraum des Tigers auf dem indischen Subkontinent in einem erschreckenden Tempo bis auf wenige inselartige Restvorkommen zusammengeschmolzen ist und die Individuenanzahl dramatisch abnimmt, weil vor Ort den Belangen des Natur- und Artenschutzes keine oder nicht die notwendige Beachtung geschenkt wird. Wir können nicht verstehen, wie dies zugelassen werden kann. Ähnliches hören wir vom Schicksal des Orang-Utan in Indonesien. Hier wird sein Lebensraum – der tropische Urwald – abgeholzt, um z. B. in Plantagen Ölpalmen anzubauen. Die Filmberichte über die unendlich schwierige Aufzucht verwaister Jungaffen berühren unsere Herzen. Mit Spendenaktionen möchten wir im fernen Deutschland dazu beitragen, z. B. durch Kauf von Waldparzellen das durch Gewinnsucht heraufbeschworene Aussterben dieser Menschenaffenart zu verhindern. Für eine große Bevölkerungsmehrheit ist der Schutz von Natur und Umwelt an allen Orten unserer Erde ein wichtiges Anliegen, wirtschaftlichen Interessen des Menschen kann nicht immer ein Primat eingeräumt werden. Sich zu einem solchen Grundsatz zu bekennen fällt leicht, wenn es um ferne Länder und andere Kulturen geht. Geht es um den konkreten Schutz der Natur und den Erhalt der Naturschönheiten vor Ort bzw. um Naturschutz im „eigenen Haus“, wird es offensichtlich schwierig mit einem Bekenntnis für Natur- und Umweltschutz. In einer solchen Entscheidungssituation für oder gegen Natur- und Umweltschutz stehen aktuell die Mitglieder des Stadtrates von Thale. Konkret geht es darum, ob der Brut-und Lebensraum des Wanderfalken ( der wegen seines Schicksals - erst Umweltgift-bedingt 1973 ausgestorben, dann Dank deutschlandweitem tätigen Naturschutz 1980 erste Wiederansiedlung für ganz Ostdeutschland – eigentlich ein Symbol für das zukunftsträchtige Thale ist) im Bodetal bei Thale den mit der Errichtung eines Baumwipfelpfades verbundenen privatwirtschaftlichen Interessen geopfert werden soll oder nicht. Gleichermaßen geht es darum, ob der im Durchbruchstal der Bode bestehende Schutz der Landschaft ersatzlos aufgehoben wird, um diesen Baumwipfelpfad als technisches Großbauwerk in unmittelbarer Nachbarschaft der Abgründe des Bodetales platzieren zu können. Eine erste Vorentscheidung scheint gefallen zu sein- laut MZ-Bericht hat sich der Bauausschuss Thale für die Errichtung des Baumwipfelpfades ausgesprochen. Aus der Berichterstattung ist abzuleiten, dass vermutlich fehlende Informationen oder eine nicht sachgerechte Bewertung der Sachfakten die Mitglieder des Ausschusses zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Der geplante Baumwipfelpfad soll direkt von der Bergstation des Sesselliftes im leichten Bogen durch den hier hohen Buchenwald bis zur felsigen Kante des Bodetales oberhalb der Blockhalden der Schurre führen. Hier stößt das Bauwerk auf die Grenze des Naturschutzgebietes Bodetal und führt parallel dazu am Rande des lichten Bestand kleinwüchsiger Krüppeleichen bzw. der Silikatfelsenvegetation bis an den Heidenwall heran. Der Baumwipfelpfad stellt in dem beschriebenen Abschnitt baulich eine langgestreckte Aussichtsplattform mit freiem Blick in das Bodetal und hin zur gegenüberliegenden „Prinzensicht“ dar. Schräg nach unten stößt der Blick auf die markante Felsrippe des so genannten Wacholderrückens. Wenn bislang Wanderer bis hierher mangels geeigneter Wege kaum gelangt sind, würden sich hier zukünftige Besucher im Reich der Wanderfalken bewegen, denn die hier anstehenden Klippen und Felsrippen dienen dem Ansitzen und Ausruhen der Altvögel und dem Füttern der Jungvögel. Der Horstbereich, der nur von hier einsichtbar ist, befindet sich auf der anderen Seite des Bodetales in rund 350 m Luftlinien-Entfernung. Die Naturschützer wissen, dass der Wanderfalke des Bodetales nicht mit Menschenströmen in seinem Brutgebiet zurecht kommt. So hat er nun schon seit Jahren die angestammten Brutbereiche am Hexentanzplatz und an der Roßtrappe verlassen. Das muss sich nicht wiederholen, wenn die Trasse eines Baumwipfelpfades so angelegt wird, dass keine Sichtbeziehungen zu Brutgebieten des Wanderfalken bestehen. Dafür gibt es im Bereich zwischen Bergstation Sessellift und Heidenwall mehr als genug Raum. Herr Blosfeld als Thales Bauamtsleiter hat unrecht, wenn er sagt, dass die geplante Trasse des Baumwipfelpfades keine sensiblen Bereiche berührt. Um dies glaubhaft zu machen und das Problem mit der Störung des Lebensraumes des streng geschützen Wanderfalken zu umgehen, wird behauptet, dass in der letzten Zeit kein Wanderfalke gesichtet wurde. Er ist nicht da, er könnte aber kommen. Soll mit einer solchen falschen Behauptung, die schon im Bauantrag enthalten ist, die Abgeordnetenzustimmung zu dem Vorhaben erreicht werden? Das ist ein Verhalten, dass mit Recht kritisiert wird, wenn es in uns fernen Ländern so praktiziert wird. Es ist nicht schwer, sachkundige Informationen über die seit 1980 ohne Unterbrechung bestehende Präsenz eines Wanderfalken im Bodetal zu erlangen. Für geübte Beobachter ist es nicht schwer, den Wanderfalken hier zu sehen. Das Jahr 2011 war ein besonders glückliches Jahr für unser Wanderfalkenpaar im Bodetal bei Thale. Erstmalig im Verlauf vieler Jahre konnte es 3 Jungvögel großziehen. Alles hat gestimmt: Die Witterung im zeitigen Frühjahr, fehlende Störungen durch Menschen, keine Verluste durch andere Beutegreifer. 3 Jungvögel erfolgreich großziehen bedeutet: Über viele Wochen hinweg wird in vielen täglichen Anflügen des großen Greifvogels Futter für das brütende Weibchen und später für die Jungvögel herangeschafft. Es ist schon höchst eigenartig, wenn ungeachtet dessen behauptet wird, dass die Wanderfalken nicht gesichtet wurden, also nicht da sind. Wir können hier nur an die Stadträte der Stadt Thale und an die Verwaltung der Stadt Thale den eindringlichen Appell richten, auch vor Ort - im eigen Haus - für den Schutz der Natur einzutreten, den Schutz des Wanderfalken im Bodetal zu sichern und dem Fortbestand dieses Kleinods unserer heimischen Natur das Primat gegenüber den privaten wirtschaftlichen Interessen an der Errichtung eines Baumwipfelpfades genau in seinem Lebensraum einzuräumen. Der Wanderfalke kann sich nicht wehren – wir alle müssen deswegen Anwalt für seinen Fortbestand sein. Das Jahr 2011 darf nicht das letzte glückliche Jahr für den Wanderfalken in Bodetal bei Thale gewesen sein.

Quedlinburg, Dezember 2011