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Schon mal gehört von Gertrud Schmidt?
Gertrud Schmidt - eine Quedlinburgerin leitet die Saatzuchtfirma in den schwierigen Kriegsjahren 1943-1945
P.J. Schmidt war ein kleines, mittelständisches Unternehmen, das Gemüse- und Blumensamen für Deutschland produzierte und handelte. Die Firma war in der Weberstraße ansässig und bewirtschaftete verschiedene Felder rund um Quedlinburg, u.a. am Liebfrauenberg. Mit diesem Beitrag soll die tapfere Frau, Gertrud Schmidt, gewürdigt werden, die im 2. Weltkrieg und auch danach die Leitung der Firma bis zur Wiederkehr ihres Mannes übernehmen musste. Unter welchen Bedingungen und Herausforderungen sie das bewerkstelligte, belegen historische Dokumente der Saatzuchtfirma P.J. Schmidt, unter denen ich eine gebündelte, beschädigte Mappe aus dem Kriegsjahr 1943 vom „Schriftverkehr, Briefe N-Z vom 1.1.43 bis 31.12.43“ fand.
Schon beim Stöbern in den Post- und Bestellkarten, amtlichen Schreiben und Briefen an und von Behörden merkt man, dass der „Endsieg“ nur noch Propaganda war. Kontingentierung, verwaltete Mangelwirtschaft und teilweise offene Verzweiflung sind erkennbar und werden nicht bemäntelt. Frau Gertrud Schmidt, geb. Buchmann (1906 bis 2006) musste nach der Einberufung ihres Ehemanns Paul Johannes (38 Jahre) allein zurechtkommen. Auszüge aus unterschiedlichen Briefen und Postkarten sollen die damalige, schwierige Situation belegen. Schlussfolgerungen kann der Leser selber ziehen.
Bereits Anfang 1943 ist die Versorgungslage angespannt: Im Brief vom 16.1.43 an Heinrich Post, Samenhandlung Eifa in Hessen, teilt P.J. Schmidt mit: „...wenn das so weiter geht, werde ich noch nicht einmal in der Lage sein, den kleinsten Auftrag zu erledigen. ...Allerdings wird es sich nur um kleine Mengen handeln.“
Ein weiterer Brief vom 6.2.43 an einen Kunden: „Wir haben jetzt unsere Zuteilungen erhalten und diese sind derart gering, dass wir jeden alten Kunden nur 20 % seines vorjährigen Bezuges liefern können. Neue Kunden können daher leider gar nicht berücksichtigt werden.“
Ein Schreiben aus Alzenau, Mainfr.,12.3.43: „Wie sie mir mitteilten, sollte ich Sie nochmals an meinen Auftrag erinnern und hoffe ich dadurch ganz bestimmt, daß Sie mir doch auch eine Zuteilung machen.“
Wilhelm Schönen, Baumschule Samenhandlung, Rheydt=Giesenkirchen, schreibt am 16.3.43: „Ihre Karte habe ich erhalten und teile Ihnen mit, daß ich kein Lot Samen mehr im Hause habe, ich bin der einzigste Verkäufer am Ort. Der andere ist eingezogen. Schicken Sie mir doch umgehend was in Ihren Kräften steht. Sie glauben nicht wie ich von den Leuten überlaufen werde.“
Der Oberpräsident des Landes-Ernährungsamt Sachsen-Anhalt Halle (Saale) am 27. Februar 1943 an Frau Schmidt: „Es war ihnen schon seit vorigem Jahr bekannt, daß Sie mit der Einberufung rechnen müssen. Ich habe nicht die Absicht, den Wehrbezirkskommandeur nunmehr noch um eine andere Entscheidung zu bitten.“
17. April 1943. Um den Mitarbeiter Heinrich Winter (?) als Kraft für den Betrieb zu erhalten, wird ein UK Antrag benötigt. (UK = Unabkömmlichkeit). Deswegen schrieb Frau Schmidt dann am 6.7.1943 an die Reichsfachschaft der Samenkaufleute in Berlin-Charlottenburg; „…und ich muß als seine Ehefrau (ohne jegliche Fachkenntnisse) den Betrieb weiterführen. Es handelt sich also um ein kriegswichtiges Unternehmen...nur ein eine einzige männl. deutsche Arbeitskraft... und zwar bekam er Mittwochs Bescheid und mußte am Sonntag bereits Soldat sein.“ Es ist bekannt, dass zu dieser Zeit im Haushalt „Noch ein kleiner Junge(n) (6 Jahre alt).“ ist. Dies ist Sohn Gerhard Schmidt.
Am 28.4.43 bittet Frau Schmidt um die Bewilligung eines Fahrrades: „…ich führe das Geschäft mit einer Angestellten und einem Lehrling. Da ich außerdem noch 70 Morgen Acker zu bewirtschaften habe und mich ...um alles kümmern muß, kann ich nicht jeden Weg zu Fuß machen.“
Nur der Einsatz von Zwangsarbeiterinnen, (so genannten Ostarbeiterinnen) ersetzte die notwendigen Arbeitskräfte.
19.5.43, Frau Schmidt an Wirtschaftsamt Quedlinburg: „Bitte um Bezugsschein für 4 Kochtöpfe,1 Waschtopf, 1 Waschschüssel, 2 Wassereimer, 10 Essschüsseln und vier weitere größere Schüsseln.“
Der Quedlinburger Oberbürgermeister Karl Selig als Ortspolizeibehörde schreibt am 26.5.1943: Zur ausländerpolizeilichen Erfassung und Fingerabdrucknahme haben die bei Ihnen beschäftigten umstehend aufgeführten Ostarbeiter am 1.6.43 in der Verwaltungspolizei, Grünhagenhaus, Zi 17 zu erscheinen. Rückseite: 1. Wera Fuzuk, 2. Lena Samara, 3 .Maria Neschetta, 4. Lida Prichodka.“
Am selben Tag schreibt der Oberbürgermeister als Ortspolizeibehörde: „In Ihrem Betrieb beschäftigen Sie 4 sowjetrussische Zivilarbeiterinnen. ...Sie sind dafür verantwortlich, daß die bei Ihnen beschäftigten Arbeiterinnen außerhalb der zugewiesenen Tätigkeit nicht mit der deutschen Bevölkerung zusammentreffen. Die Ostarbeiterinnen haben sich beim Verlassen des Lagers (Heinrichplatz, d. A.) und bei der Rückkehr stets beim Lageraufseher zu melden. Die Arbeitskräfte haben auf der rechten Brustseite eines jeden Kleidungsstückes auf blauen Grund Schrift „Ost“.
8. Juni 1943, Weberstr. 42, „Antrag auf Zuteilung von Zulagekarten für Langwege und Nachtarbeiter, insgesamt beschäftigt 9 Ausländer und ein Deutscher“
Am 22. Juni 1943 schreibt der Oberbürgermeister als Ortspolizeibehörde an Herrn P.J. Schmidt, Samenbau: „Den Erfordernissen des totalen Krieges muß in vollem Umfang und rücksichtslos Rechnung getragen werden und infolgedessen auch eine weitere Einschränkung im Kfz Verkehr vorgenommen werden. Unter dem Gesichtspunkt des totalen Krieges kann ich ... ein öffentliches Interesse an der Weiterbenutzung Ihres unter Kennzeichen IM-210918 ...weiter nicht erkennen. Ab dem 30.06.43 wird die Genehmigung …zurückgenommen.“
„Am 7. Juli, 20 Uhr ist im Prinz Heinrich Versammlung sämtlicher Anbauer von Hafer, Gerste und Kartoffeln. ...ist die Teilnahme an der Versammlung für jeden Anbauer unerläßlich. gez. Ebert Ortsbauernführer“
Am 5. Mai 1943 erhält Herr Paul Schmidt, Weberstraße 26, das jährliche Formular zur Bodenbenutzungserhebung 1943. Er ist aber bereits seit dem 25.02.43 Soldat! Das seine Frau den Betrieb führt, interessiert in der frauenfeindlichen Nazizeit keinen.
Leop. Wallmann, Nachfolger Papiergroßhandlung in Quedlinburg, bittet am 1. Juni 1943 „eine Erklärung ab(zu)geben, damit“ Wallmann durch Wiederbeschaffung der Pappen (nötig für Lieferungen) weiter produzieren kann. Der Brief vom Reichsverband der Pflanzenzucht (28.9.43).: „Den eingesandten Zuteilungsbescheid erhalten Sie in der Anlage zurück. ...dürfen PZT-Gewebesäcke für Saatgut nicht mehr abgeben werden. An Stelle von PZT-Gewebe wird daher Reinpapiergewebe PT 700 geliefert.“ Fa. Schmidt erhält den Zuteilungsbescheid zum Bezuge von 200 Säcken (!) der Qualität P.T-700 vom Reichsverband der Pflanzenzucht“ (13.10.43).
Am 1. Oktober 1942 wird ein „Reichsnährstand Einheitsvertrag für Pachtgrundstücke zwischen P.J. Schmidt und Herrn Franz Tettenborn, Blankenburg Harz zu (einem) Ackerstück über den Sandkuhlen über 80,4 Morgen“ abgeschlossen.
Die Einladung der Ortsfachgruppe Quedlinburg im Reichsnährstand Abteilung Gartenbau zur Monatsversammlung durch den Ortsfachwart kommt am 30. November 1943: „Thema Behandlung und Pflege von Aussaaten, Überwinterung von Gemüse“.
Eine Kundenkarte aus Gomau Main, 7.12.43: „Melde mich für die kommende Saison etwas eher bei Ihnen, damit bei Ihrer Verteilung nicht wieder zu spät komme. Sonst immer zufriedener Kunde m.d.G.“
Bis zu ihrem Lebensende lebte Gertrud Schmidt in ihrer kleinen Wohnung im ersten Stock des Betriebsgebäudes im Weinbergweg. Dort befanden sich auch Flächen für Züchtung und Vermehrung. Nach dem Tod ihres Ehemanns wurde der Betrieb vom Sohn Gerhard bis 2015 fortgeführt.
Gertrud und Paul Johannes Schmidt
Gertrud Schmidt und Sohn Gerhard
Fotos: Stephanie Schmidt
Aktuelles: Vortrag auf der BUGA
Wissenswertes über Tomaten
An dem BUGA Standort Petersberg in Erfurt werden im ehemaligen Festungsgraben die Erfurter Gartenschätze wie Arznei- und Gewürzpflanzen, verschiedene Gemüse- und Blumensorten gezeigt.
Unser Mitglied Dr. Rolf Bielau gab am 1. August 2021, unterstützt von Dr. Wolf-Dieter Blüthner aus Erfurft, in zwei Vorträgen mit Diskussion sein Fachwissen zu Tomaten an die Besucher weiter. Dabei interessierten die Besucher besonders Krankheiten bei Tomate wie Blütenendfäule, Gelbkragen und natürlich Braunfäule. Darüber hinaus hatte Herr Hoser aus Süddeutschland Saatgutproben von verschiedenen alten und DDR Sorten vorbereitet, die die Beuscher kostenlos mitnehmen konnten.
Impressionen von der Vortragsveranstaltung
Impressionen von den Erfurter Gartenschätzen
Quedlinburger Züchterpfad feierlich eröffnet!
Der Quedlinburger Züchterpfad wurde am 7. Juli 2021 bei bestem Wetter feierlich auf der Zentralinsel in der Carl-Ritter-Straße eröffnet. Nach Grußworten von Hartmut Klein (Sprecher IG Saatguttradition), Christoph Brücke-Wendorff (Vorsitzender KHV Quedlinburg) und des Oberbürgermeisters Frank Ruch wurde der Blickfang der Zentralinsel, eine Holzstele, geschaffen von Herrn Uwe Bormann, feierlich enthüllt. Wie Kerstin Zentner von design office erklärte, symbolisiert die Stele auf einem Spatengriff übereinander liegende Samen von Rübe, Bohne und Fenchel gekrönt von einem goldenen Samenkorn als Sinnbild für den Wohlstand, den Quedlinburg durch die Saatzucht erlangte. Dr. Rolf Bielau, der Initiator des Projektes, führte in die Entstehung und Umsetzung des Züchterpfads nach einer Idee von Dr. Manfred Kummer ein und die Gäste im Anschluss zu einigen Stationen des Züchterpfads.
Impressionen
Hartmut Klein (Sprecher IG Saatguttradition)
Rolf Bielau, Initiator des Züchterpfads
.... und Hasso Storbeck
Manfred Grußdorf und Hasso Storbeck
Dr. Christian Schickardt (IG Saatguttradition), Doreen Walther (QTM), Kerstin Zentner (design office)
Ilse Marie Kummer
Christoph Brücke-Wendorff (Vorsitzender KHV Quedlinburg)
Oberbürgermeister Frank Ruch
Holzstele auf der Zentralinsel, Foto: J. Meusel
Dagmar Graf (IG Saatguttradition) und Holzbildhauer Uwe Bormann
Station 1 des Quedlinburger Züchterpfads, Lange Gasse 12, Samenzüchterei Martin Grashof
Station 5, Alexander Grußdorf, Neuer Weg 24
Versteckte Büste von Gustav Adolf Dippe, Neuer Weg 22/23
Station 7, Neuer Weg 22/23
Fotos: Dr. Sylvia Plaschil
Berichte in der Presse
MZ, 8. Juli 2021, Seite 14
Qurier 08/2021, Titelblatt und S. 6-7
https://www.quedlinburg.de/de/amtsblatt/qurier-082021.html
Zur Website
https://zuechterpfad.khv-quedlinburg.de/
Schon mal gehört von Garten- oder Saatzucht-Inspektoren?
Im 19. Jahrhundert spezialisierten sich die gartenbaulichen Tätigkeiten. In Sachsen, Dresden, und der preußischen Provinz Sachsen, Merseburg, wurde an verdiente langjährige Mitarbeiter in den Behörden und Saatzucht-Unternehmen der Titel eines Inspektors, mit unterschiedlichen Bezeichnungen, vergeben. Ebenso wie die Höhere Staatslehranstalt für Gartenbau Dresden-Pillnitz bildete die 1896 von Prof. Dr. Hans Settegast gegründete Gartenbaulehranstalt in Bad Köstritz Gartenbauinspektoren, später auch Diplom Gartenbauinspektoren, für Leitungsfunktionen aus. Wer waren die Garten- oder Saatzucht-Inspektoren?
Paul Schindel, der Gestalter der Kuranlagen in Bad Elster, Paul Schindel, erhielt um 1880 den Titel Königlicher Gartenbau-Inspektor. Er verstarb 1921. Aber auch in Berlin konnte Eduard Neide, am 1. April 1818 in Magdeburg geboren, eine stattliche Kariere starten: Gärtnerlehre in der Nathusius'schen Baumschule in Althaldensleben, im Königl. Dienst im Tiergarten zuerst als Obergärtner, später als Garten-Inspektor und schließlich als Garten-Direktor.
Aus der Familie Hermann August Wilhelm Mette in Könnern/Sa. begann der zweitälteste Sohn Otto Carl Wilhelm Mette (1877-1951) seine Gärtnerlehre beim Garten-Inspektor Eichler in der Schlossgärtnerei Wernigerode. Er startete in seiner Gärtnerei mit dem Samenbau und Schnitt-blumenanbau.
Insgesamt arbeiteten allein für die Firma Dippe 12 Saatzucht-Inspektoren und Obergärtner, mehr als 130 gelernte Gärtner, 60 Hofmeister und Aufseher. 1926 wurden drei langjährig beschäftigte Inspektoren genannt. Gustav Carl Fiedler, Gartenbau-Inspektor in der Gebr. Dippe AG, begann als Hospitant 1859 an der Gärtnerlehranstalt am Wildpark bei Potsdam. Fiedler konnte auf eine 63jährige Dienstzeit in der Firma Dippe zurückblicken! Diese gehobene Funktion beinhaltete die Kontrolle aller Feld- und Selektionsarbeiten der gärtnerischen Mitarbeiter.
Karl Martin Friedrich Sehrbunt (12.07.1842-31.10.1920, Quedlinburg) war verheiratet mit Johanna Catharina, geb. Koller, mit der er 4 Kinder hatte. Er war von 1857 bis 1920 in derselben Firma, davon die längste Zeit dieser 63 Jahre als Saatzucht-Inspektor und zuständig insbesondere für die Zuckerrübenzüchtung.
Auf 55 Jahre ununterbrochener Arbeit in der Firma Dippe konnte der Saatzucht-Inspektor Ferdinand Schuhmann zurückblicken.
Über die Feldflur verteilt, wurden rund um Quedlinburg, Rübenzucht- und Prüffelder angelegt. Ebenso wuchsen auf den Feldern Blumen, Gemüse und Gewürzpflanzen für die Samenvermehrungen. Mittels Kolonnen von Männern und Frauen, z.T. Saisonkräften, unter Aufsicht durch die Obergärtner u.a. Bittkau und Engel, dem Gartenbau-Inspektor Paul Vogel und Saatgut-Inspektoren wie Robert Johann Beist, musste das Pflanzmaterial mit der Hand, die restlichen Kulturen per Sämaschine in den Boden gebracht werden.
Der Vermehrungsanbau von Blumensamen und die Lagerhaltung in der Adelheidstr. 1 wurde von Beist betreut, der in Europa als bester Kenner des Blumensamensortiments galt. Er war von 1865 bis 1932 bei der Firma Gebr. Dippe AG beschäftigt, war hier noch als 80-Jähriger bis 1935 im Beruf tätig und starb zuletzt 1944 als Saatzucht-Inspektor.
Bildmitte Robert Johann Beist
Dr. Friedrich Fabig und Paul Vogel
Paul Vogel (1899-1977) war ein produktiver und kreativer Blumen- und Gemüsezüchter in der Gebr. Dippe AG und hatte eine Zuchtabteilung im Institut für Pflanzenzüchtung Quedlinburg. Er schuf 22 Blumen- und 19 Gemüsesorten, darunter die Tomate „Harzer Kind“ und zahlreiche Asternsorten verschiedenen Typs.
Paul Vogel
Fritz Beyme mit Frau Elisabeth
Theodor Tugendheim (1868-1945) arbeitete sich vom Gärtner, Obergärtner zum Gartenbau-Inspektor empor. Diesen Titel hatte er sowohl in der Firma David Sachs als auch bei Fa. Rudolf Schreiber & Söhne inne.
Friedrich Fabig trat 1941 in die Fa. Rudolf Schreiber & Söhne als ausgebildeter Gartenbau-Inspektor ein und hatte die Funktion eines Saatzuchtleiters.
Aber auch in der Ascherslebener Firma Terra AG gab es diese Bezeichnung. Der erfolgreiche Tomatenzüchter Friedrich Beyme aus dem Gartenbaubetrieb Gustav Beyme lernte seinen Beruf in Aschersleben. Lebenslang gab er später als Beruf Saatzucht-Inspektor an.
Obwohl tausende Frauen als Saisonkräfte oder fest angestellte Mitarbeiterinnen im Gartenbau und speziell in der Saatzucht und im Samenbau über die Jahrzehnte in Quedlinburg, Erfurt, Aschersleben, Eisleben und anderen Orten tätig waren, ist keine Inspektorin überliefert worden!
Die Literaturquellen sind bei dem Autor einsehbar.
Fotos: Archiv R. Bielau und Hartwig Beyme
Der Quedlinburger Züchterpfad wird Wirklichkeit
Es hat lange gebraucht, eine Idee von Dr. Manfred Kummer aus den 1970er Jahren umzusetzen. 2021 ist ein Jubiläumsjahr mit 250 Jahren Samenzucht in Quedlinburg, welches der Bedeutung dieses Wirtschaftszweiges gerecht wird. Die IG Saatguttradition im Kultur- und Heimatverein Quedlinburg e.V. konnte jetzt die Idee des Züchterpfades mit Unterstützung der Stadt Quedlinburg, von Betrieben, Einrichtungen und Sponsoren sowie Fördermitteln der Europäischen Union im Rahmen der Programme von "ELER" und "LEADER" umsetzen. Mit der Ausführung wurde die design office Agentur für Kommunikation GmbH (Standort Quedlinburg) beauftragt. Vielen Dank an alle Beteiligten für ihre Kreativität und das Engagement!
Doch nun ein Blick in die Geschichte der Quedlinburger Samenzucht: Wie viele Saatzuchtbetriebe gab es überhaupt? Um 1929 waren es 48 Firmen, am Ende des zweiten Weltkrieges existierten noch 23 Unternehmen mit vollen Speichern! Unsere Blumenstadt Quedlinburg stand auf Augenhöhe mit Erfurt, das auch diesen Namen führte. Die Mischung von weltbekannten Großbetrieben, mittelständischen Züchtern und zahlreichen kleinen Vermehrungsbetrieben machte den Erfolg der einheimischen Pflanzenzüchtung, dem Samenbau und -handel aus.
Heute kommen immer noch Touristen und einheimische Interessierte, die nach den Standorten der Firmen fragen, interessiert an fachlichen Führungen und Informationen zu den hiesigen Züchtern sind. Bisher erinnerte an diesen bedeutendsten Wirtschaftsfaktor in der Stadtgeschichte sehr wenig. Der über Jahre geplante Quedlinburger Züchterpfad möchte diese Tradition wachhalten und den Stolz auf die erreichten Leistungen zum Ausdruck bringen.
Mittels eines zentralen Informationspunktes auf dem Carl-Ritter-Platz, bis 1945 samenbaulich genutzt, mit drei Tafeln und einer Samenkörner symbolisierenden Holzstele erhalten die Besucher und Bürger der Stadt einen ersten Überblick zur Geschichte der Saatgutwirtschaft allgemein und den Zuchtstätten einzelner Unternehmen. Für den Anfang sind es zehn Orte der Erinnerung. Weitere können in der Zukunft folgen. Alle Orte sind zu Fuß im Stadtzentrum erreichbar. Jede Station wird durch eine Informationstafel kenntlich gemacht. Beginnend bei Martin Grashoff in der Langen Gasse, geht es über den Abteigarten zu den Firmensitzen von Heinrich Mette, Alexander Grußdorf und der Gebr. Dippe AG. Von 1945 bis 1991 präsentierten die Deutsche-Saatzucht-Gesellschaft (DSG), später VEB Saat- und Pflanzgut-gartenbauliche Kulturpflanzenarten, das Institut für Pflanzenzüchtung/ Züchtungsforschung und die VVB Saat- und Pflanzgut maßgeblich das Bild Quedlinburgs in aller Welt.
Übersichtstafel an der Zentralinsel, Carl-Ritter-Platz Informationstafel Station 1
Der Züchterpfad schließt derzeit mit der Station 10. Dort wird an die Verdienste von Mathilde Ebert erinnert. Unter den fast nur männlichen Berufskollegen ragte sie als Begründerin und Dozentin (Weihenstephan) des Lehrberufes Floristin in Deutschland mit ihrem Floristikgeschäft in der Heilige-Geist-Straße heraus. Damit wird auch die Familientradition mit der Gärtnerei Gebr. Ebert als Nestor der einheimischen Tomatenzüchtung gewürdigt.
Ausführliche Erläuterungen zu den einzelnen Stationen werden in einer Broschüre und auf der Website zum Züchterpfad veranschaulicht. Darüber hinaus wird ein handlicher Flyer von den Schülerinnen und Schülern der David-Sachs-Schule, Quedlinburg erarbeitet.
Die feierliche Eröffnung des Züchterpfades findet am 07.07.2021 mit geladenen Gästen statt. Führungen auf dem Züchterpfad können später bei der Quedlinburg-Tourismus-Marketing-GmbH (QTM) gebucht werden.
Weiterführende Links:
Züchterpfad: https://zuechterpfad.khv-quedlinburg.de/
IG Saatguttradition: https://www.khv-quedlinburg.de
Eröffnung des Züchterpfades verschoben
Liebe Freunde und Freudinnen der IG Saatguttradition,
die für den 6. Juni 2021 geplante feierliche Eröffnung des Züchterpfades im Rahmen des Programms UNESCO-Welterbetag in Quedlinburg wurde leider pandemiebedingt verschoben. Der neue Termin wird rechtzeitig in der Presse und auf unserer website bekannt gegeben.
Wir freuen uns auf Sie als Besucher/in. Bleiben Sie gesund!
Schon mal gehört von Helga Meißner?
(Beitrag zur Serie: Schon mal gehört von… ?)
Helga Meißner (1936-2010) war eine der wenigen leitenden Frauen in der Quedlinburger Pflanzenzüchtung und im Samenbau. Zunächst war Frau Meißner als Mitarbeiterin im VEG Zierpflanzen Erfurt, BT Quedlinburg unter der Leitung von Hermann Wagner tätig. Ab 1972 führte sie die Zuchtstation des VEG (Saatzucht) „August Bebel“ Quedlinburg in der Oeringerstraße (ehemals Laux, dann Hake & Co). Hier wurden Neuzüchtung bei Gemüse und Zierpflanzen sowie Erhaltungszüchtung bei Gemüse, Zierpflanzen, Zuckerrüben und Getreide betrieben.
Saatzuchtstation, Verwaltung, Oeringer Hof, VEG (S) Zierpflanzen Erfurt, BT Quedlinburg,
Sammlung R. Bielau Weyhegarten, Sammlung E. Wilhelm
Beide oben genannten Einrichtungen wurden 1979 vereinigt und als VEG (S) „August Bebel“ weitergeführt. Mit der Gesamtleitung wurde Frau Meißner betraut. Die vergrößerte Einrichtung war Mitglied in der Züchtergemeinschaft (ZG) Gemüse der DDR (Leiter Dr. Rainer Weichold). Die Zierpflanzenzüchtung war ab 1984 in einer gesonderten Züchtergemeinschaft organisiert, die aus der Vereinigung der ehemaligen ZG samenvermehrte Zierpflanzen (Leiter Richard Schellhase) und der ZG vegetativ vermehrte Zierpflanzen (Leiter Herr Pilz) hervorging.
Während ihrer beruflichen Laufbahn züchtete Frau Meißner mit ihrem Mitarbeiter Wolfgang Besen die fünf Freilandkopfsalatsorten ‘Laresta‘, ‘Lazena‘, ‘Ladura‘, ‘Labelle‘ und ‘Lamira.‘ Darüber hinaus wurden von ihr die Chicoreesorte ‘Hegi‘ für die Wassertreiberei und 1990 die Chicoreesorte ‘Taurus‘ gezüchtet.
Helga Meißner (rechts, Vordergrund) bei der Salatselektion im Kleersgarten, Sammlung R. Bielau
Hinzu kamen zwischen 1963 und 1979 mit ihrer Mitarbeiterin Rosemarie Schneider sechs Dahlien-Neuzüchtungen wie ‘Rabattenzauber‘ in weiß und rot sowie die rosa blühende ‘Harzfee‘. Außerdem betreute Frau Meißner die Erhaltungszüchtung von zahlreichen übergebenen DDR Neuzüchtungen. Sie war bis zum Ende des VEG im Jahr 1990 für 270 ha Zuchtfläche verantwortlich. In der fast ausschließlich von Männern dominierten Züchtergemeinschaft Gemüse und in allen anderen Züchtungsbereichen war Helga Meißner eine sehr geachtete und respektierte Fachfrau.
250 Jahre Samenzucht in Quedlinburg
Im Jahr 2021 kann Quedlinburg auf ein Vierteljahrtausend Pflanzenzüchtung, Samenbau und Samenhandel zurückschauen. Doch wie begann vor 250 Jahren die Samenzucht in Quedlinburg? Mit welchen Namen ist sie verbunden und welche Spuren sind heute noch zu finden? Antworten dazu lassen sich an der Zentralinsel und 10 Stationen des Quedlinburger Züchterpfads, der von der IG Saatguttradition initiiert wurde und anlässlich dieses Jubiläums eingeweiht werden soll, finden. Einen kurzen Überblick der Entwicklung der Quedlinburger Samenzucht soll dieser Beitrag geben.
Den Grundstein für die Quedlinburger Samenzucht legte 1771 Johann Andreas Grashoff mit seinen garten- und samenbaulichen Arbeiten. Dessen Familie, als eines der ältesten Bürgergeschlechter der Stadt, wurde schon 1330 urkundlich in Quedlinburg erwähnt und stellte fünf Bürgermeister und mehrere Ratsherren (1445-1659). Der Grashoff'sche Wirtschaftshof befand sich in der Langen Gasse 11/12, am Ende einer Sackgasse. Um ihn von den anderen Grashoff‘schen Gartenbaubetrieben zu unterscheiden, nannte ihn der Volksmund „Grashoff im Sack“. Beim Blick auf den Hof lässt sich noch der Zweck des Hofes erahnen.
Wirtschaftsgebäude Lange Gasse 12, historisch und 2021, Archivbild und Foto: R. Bielau
Seine Frau Marie Elisabeth, geb. Sachtleben, stammte aus einer Familie von Gärtnern und Samenbauern, die mindestens seit Anfang des 18. Jahrhunderts in Quedlinburg sesshaft waren und die Gärtnerei „Am Kleerse“ betrieben. Ihre repräsentativen Wohnbauten im Harzweg zeugen noch heute von einem gewissen Reichtum.
Obwohl bereits vor 1840 Gemüseerbsen und Blumensamen produziert wurden, begann der Aufschwung des Unternehmens Grashoff mit dem Sohn Martin Jakob (1797-1866). Bereits 1841, und damit fast gleichzeitig mit der Firma Mette (1836) brachte M. J. Grashoff erste eigene Samen-Verzeichnisse heraus. Jedoch bewarb der heimische Samengärtner Gottlieb Samuel Rögner schon 1825 in überregionalen Zeitungen seine Sämereien über Anzeigen.
Titelblatt eines Grashoff-Preisverzeichnisses von 1917 Anzeige von Grußdorf/Grashoff
Quelle: beide Abbildungen aus dem Archiv R. Bielau
Nach der Übernahme des väterlichen Betriebes vergrößerte M. J. Grashoff das Grundeigentum auf 87 ha, pachtete zusätzlich 250 ha in der umliegenden Feldflur und errichtete das erste Glasgewächshaus in Quedlinburg. Schnell erkannte M. J. Grashoff die Bedeutung der Zuckerrunkelrübe und beschäftigte sich mit der Züchtung und dem Handel dieser Profit versprechenden Kulturpflanze. Für seine Verdienste wurde er 1864 zum Königlichen Oberamtmann ernannt und bekam um 1884 den Hohenzollernorden.
Nach seinem Tod in der Quedlinburger Cholera-Epidemie 1866 übernahm sein Vetter Ernst Hermann Grußdorf die Firma und führte sie unter dem Grashoff'schen Namen weiter. Erst nach dem Konkurs der Firma erlosch 1929 der Firmenname und sein Sohn Alexander Grußdorf gründete die eigene Firma A. Grußdorf.
Weitere Grashoff'sche Gartenbaubetriebe im Laufe der Saatgutgeschichte befanden sich im Neuen Weg (Karl Grashoff), am Abteigarten (A. Grashoff) sowie in der Heidfeldstraße, der Kurzen Straße und in der Lindenstraße.
Mit dem Namen M. J. Grashoff verbunden waren auch Gustav Adolf Dippe (1824-1890) und David Sachs (1836-1918). Dippe ging als einer von zahlreichen Lehrjungen von 1837 bis 1840 bei Grashoff in die Lehre. Die Brüder G. A. und Christof Lorenz Dippe gründeten 1850 eine der größten Quedlinburger Saatzuchtfirmen. Sachs arbeitete um 1870 als Buchhalter in der Firma Grashoff und gründete 1878 seine eigene Samenzüchterei in der Kleersstraße Nr. 47. Diese vergrößerte er rasch um die Grundstücke 48/49 sowie 51/52 mit Sitz des Unternehmens im Badeborner Weg 4.
Ein weiterer Pionier der Saatzucht absolvierte von 1750 bis 1753 im stiftlichen Abteigarten als Kunst-, Lust- und Handelsgärtner beim bestallten Hof- und Lustgärtner Johann Heinrich Ziemann seine Lehrjahre. Es war der spätere Firmen- und Familiendynastie-Gründer Johann Peter Christian Heinrich Mette. Nach den obligatorischen Lehr- und Wanderjahren kam er 1770 zurück in seine Heimatstadt. Dort betrieb er eine kleine Gärtnerei. Der im September 1783 abgeschlossene Pachtvertrag mit der 38. Äbtissin über ca. 12 ha guten Gartenboden, dem Dechaneigarten südöstlich des Schlossberges im Westendorf, gestattete ihm, seine Vorstellungen zur Samenzucht umzusetzen. Im Jahr 1784 gründete er die Samenzüchterei Mette (Gemüse und Blumen).
Gefördert durch die Auflösung des Freiweltlichen Reichsstiftes auf dem Schlossberg 1806, dessen Verkauf von Ländereien in der Feldflur und die Freiheit vom Flurzwang der Dreifelderwirtschaft, schufen die Kunst- und Handelsgärtner in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche, später deutschlandweite und weltbekannte Unternehmen. Der revolutionäre Siegeszug der Runkel- bzw. Zuckerrübe erzeugte eine Nachfrage nach Rüben mit hohem Zuckergehalt für die später 50 gegründeten Zuckerfabriken zwischen Braunschweig und Nordhausen. Davon profitierte Quedlinburg mit der ersten funktionsfähigen Zuckerfabrik von Hahnewald & Zerbst ab 1834 im Regierungsbezirk Magdeburg der preußischen Provinz Sachsen. Zehn große bzw. mittelständische Saatzuchtfirmen verdienten mittels umfangreicher Neuzüchtungen und Vermehrungen des Rübensaatgutes im Ausland bis 1945 hohe Profite. Die Gebr. Dippe AG, H. Mette und D. Sachs, ab 1937 Rudolph Schreiber & Söhne, dominierten diesen Wirtschaftszweig. Sorten und Saatgut weiterer landwirtschaftlicher Kulturpflanzen wie Getreide und Kartoffeln, von Gemüse, Blumen und Gewürz-/Heilkräutern trugen den Namen Quedlinburgs als eines bedeutsamen Zentrums deutscher Pflanzenzüchtung und Saatzucht in alle Welt.
In der DDR war die ab 1963 in Quedlinburg angesiedelte VVB Saat- und Pflanzgut das Zentrum der Pflanzenzüchtung und des Samenhandels für alle Kulturen. Zu dem von ihr geleiteten Wirtschaftszweig gehörten der VEB Saat- und Pflanzgut Quedlinburg als ihr Leitbetrieb für gartenbauliche Kulturpflanzenarten sowie das VEG (Saatzucht) "August Bebel". Dieses war aus zahlreichen enteigneten privaten Saatzuchtfirmen entstanden und bewirtschaftete um Quedlinburg über 3.000 ha Zucht- und Vermehrungsflächen.
Das Institut für Pflanzenzüchtung (ab 1972 Institut für Züchtungsforschung) wurde 1947 gegründet. Seine Wurzeln lagen in der Forschungsabteilung der Gebr. Dippe AG und den dortigen hochmotivierten Mitarbeitern wie Gustav Becker, Eugen Claus und Paul Vogel. Eva Pauly und Friedrich Fabig kamen aus der Firma Schreiber hinzu.
Nach der Wiedervereinigung wurde 1992 die Bundesanstalt für Züchtungsforschung mit Fachinstituten u.a. in Quedlinburg und Aschersleben gegründet. 2006 konnte auf dem Moorberg, einem ehemaligen Zuchtgelände der Gebr. Dippe AG, ein moderner Gebäudekomplex mit Forschungsgewächshaus eingeweiht werden. Das 2008 gegründete Julius Kühn-Institut (JKI) – Bundesforschungsinstitut für Kultur-pflanzen hat heute dort seinen Hauptsitz und ist u.a. in der Züchtungsforschung an gartenbaulichen Kulturen aktiv.
Julius Kühn-Institut mit Gewächshausanlage, Mai 2018, Foto: S. Plaschil
Heute sind noch wenige engagierte Firmen weltweit aktiv wie die satimex QUEDLINBURG GmbH, die International Seeds Processing GmbH (beide Gemüse-, Blumen-, Kräutersaatgut), die Saatzucht Josef Breun GmbH & Co. KG (Getreide) oder das Züchtungsunternehmen Florensis Quedlinburg GmbH (Zierpflanzen).
Mit der für Juni 2021 vorgesehenen Eröffnung des Quedlinburger Züchterpfades wird die IG Saatguttradition in einem Begleitheft und über die separate neue Website noch ausführlicher zu diesem Thema informieren:
www.saatzuchtpfad-quedlinburg.de
Schon mal gehört vom Speicherkomplex Moorhof?
(Beitrag zur Serie: Schon mal gehört von… ?)
Ein markanter Speicher in Quedlinburg
Vielleicht ist der eine oder andere Besucher unserer website durch die aktuelle Berichterstattung in der Presse auf den Moorhof gestoßen. Aus diesem Anlass ein paar Hintergrundinformation dazu.
Die Gebr. Dippe sind 1899 als Eigentümer dieses beherrschenden Hofkomplexes für Saatgutspeicherung und Tierhaltung an der Chaussee nach Gernrode (Gernröder Weg) Nr. 4a eingetragen. Gemäß vorliegendem Kartenmaterial aus dem Jahr 1902 grenzte damals stadtauswärts direkt an der Mauer der Schießstand, heutiger Parkplatz des Sportplatzes, und der Reitplatz der Kürassiere An der Moorschanze an. Diese waren im Rambergweg stationiert. Im Jahr 1920 wurde aus dem Reitplatz der Städtische Sportplatz An der Moorschanze. Die umfangreichen Kuh-, Schaf- und Schweinebestände dienten hauptsächlich der Gewinnung von organischem Dünger für die betrieblichen Feldkulturen. Im 1. Weltkrieg wurde Milch an die Betriebsangehörigen verteilt. Ob die Saisonkräfte und dort arbeitenden Kriegsgefangenenauch ein Milch-Deputat bekamen, ist unbekannt.
Die umfangreiche Zuckerrübensamenproduktion und deren Aufarbeitung vor dem Versand benötigte für Tausende Saatgutsäcke stabile Deckenkonstruktionen und viel Platz. Für den Bau wurden deshalb eigens Nadelholzstämme von entsprechender Länge aus Nordamerika importiert. Bis zu fünf Saatgutböden übereinander dienten der Lagerung. Aufzüge und Rutschen sorgten für einfache Transportmöglichkeiten. Für die Wasserversorgung des Moorberg-Zuchtgeländes war eine Pumpstation auf dem Moorhof eingerichtet.
Im Speichergebäude März 2021, Fotos: S. Plaschil
Am 10. April 1945 mussten Häftlinge des aufgelösten KZ Langenstein-Zwieberge bei Halberstadt auf ihrem Todesmarsch in einer Moorhof-Scheune ihr Nachtlager nehmen. Nach der Enteignung der Gebr. Dippe AG im September 1945 wurden vom Moorhof aus die meisten ehemaligen Dippe'schen Felder bewirtschaftet. Erst Teil des DSG Betriebes I, gehörte der Moorhof nach 1950 zum VEG (S) August Bebel Quedlinburg. Hier wurden bis zum Ende des VEG eine große Schafherde und zeitweise Kühe gehalten. Die Speicher dienten weiterhin der Aufbereitung und Lagerung von Saatgut. Mehrere Böden waren regelmäßig mit Erbsensaatgut für den Export in die UdSSR belegt. Markierungen in den Balken mit dem Namen des Moskauer Außenhandelsbetriebes "Exportkhleb" zeugen noch heute davon. Auf dem Hof waren auch Traktoren u.a. schwere Feldtechnik untergestellt.
Am 11. August 1972 setzte eine Angehörige des Arbeitserziehungskommandos aus Morgenrot eine Scheune in Brand, welcher von der Betriebsfeuerwehr des VEB Saat- und Pflanzgut und Institutes für Züchtungsforschung sowie der Stadtfeuerwehr Quedlinburg erfolgreich gelöscht wurde. Der straßenseitige Anbau am linken Speichergebäude zum Moorgarten, nach 1945 Drachenlochgarten, war für die Saisonkräfte gebaut. Später waren es Betriebs- und danach bis ca. 2010 (?) private Mietwohnungen.
Nach der Liquidierung des VEG wurde der Speicherkomplex noch eine Weile durch die Pächtergemeinschaft "Moorhof" genutzt. Mit deren Auszug zum Himmelshof 1992 begann der schrittweise Verfall des leerstehenden Grundstücks. Metall- und Holzdiebe zerstörten einen Speicherteil, der 2011 einstürzte und abgerissen werden musste. Andere Teile des Moorhofes wurden von einem privaten Nutzer instandgesetzt und umgenutzt.
Speichergebäude und ehemalige Tierställe im März 2021, Fotos: S. Plaschil
Weitgehend im Originalzustand erhalten ist noch das links liegende Speichergebäude. Es wurde jedoch auch schon durch Vandalismus und Diebstahl stark beschädigt. Dank der Intiative des Leiters der Denkmalbehörde des Landkreises Harz Dr. Schlegel wurde Ende 2020 mit der Teilrekonstruktion des Dachstuhls aus Fördermitteln begonnen. Damit ist dem weiteren Verfall dieses historisch bedeutsamen Speicherkomplex erst einmal Einhalt geboten worden. Es ist sehr zu wünschen, dass sich daran anschließend auch ein Investor für eine grundlegende Sanierung und neue Nutzung finden wird.
Literaturverzeichnis
LHASA, MER, M565, Nr. 4441, Flurstückenbelegungen 1943 bis 1949
Storbeck, Hasso mündliche Mitteilungen
Mertsch, R. 1945 eine Auflistung
Bild des Moorhofs um 1915
Karte der Stadt Quedlinburg, 1902
Karte der Stadt Quedlinburg, 1920
Bielau, Rolf, Soziale Aspekte in der Gebr. Dippe AG
Meusel, Jürgen, schriftl. Mitteilung und Fotos zum VEG Quedlinburg, 2021
Schon mal gehört von Dr. Eugen Claus?
(Beitrag zur Serie: Schon mal gehört von… ?)
Mit diesem Betrag soll an Dr. Eugen Claus (1886 Ulm-1965 Quedlinburg) erinnert werden, der im 20. Jahrhundert über viele Jahrzehnte eine tragende Rolle in der Organisation der Zuchtarbeit in Quedlinburg gespielt hat. Während seiner Laufbahn stand er wohl doch etwas im Schatten solch prominenter Persönlichkeiten wie der des Leiters des Züchtungsinstituts vor und nach 1945 Prof. Dr. Gustav Becker. Um dann leider auch viel zu schnell aus dem öffentlichen Gedächtnis zu verschwinden.
V. l. n. r.: Rittmeister Eichert-Wicksdorff, Dr. Eugen Claus und Prof. Dr. Spengler
Foto: Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg (LASA MD)
Nach seiner Promotion und Leitung der Pflanzenzuchtstation Halle/Sa. begann Dr. Eugen Claus am 1.9.1922 in der Gebr. Dippe AG. Dort wirkte er als Saatzuchtleiter sowie Abteilungsleiter Verwaltung und Versuchswesen. Er war verantwortlich für den Aufbau des Versuchs-Gewächshauses (Röder-Haus) im Drachenlochgarten und der betriebs-eigenen Forschungsabteilung. In nationalen und internationalen Verbänden der Zuckerindustrie vertrat er die Firma. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen zur Zuckerrübe und zur Saatgutgeschichte erschienen von ihm. Die Erhaltung der Leistungsfähigkeit und Verbesserung der Schossfestigkeit der Dippe‘schen Zuckerrübensorten WI, E, Rk und Z lag in seinen Händen.
Vielen Besuchern der Gebr. Dippe AG und des späteren Instituts für Pflanzenzüchtung führte er die Feldbestände und aktuellen Züchtungsarbeiten vor. Nach 1945 konnte Dr. Claus sofort im DSG Betrieb I (vorm. Gebr. Dippe) seine Tätigkeit fortsetzten. Er war einer der ersten Mitarbeiter des neugegründeten DSG-Institutes für angewandte Pflanzenzüchtung in Quedlinburg. Bis zum Ende seiner Berufstätigkeit unterstützte er maßgeblich Prof. Dr. Gustav Becker in der Führung der praktischen Feldplanungen und zahlreichen administrativen Aufgaben.