Gernrode wurde in Folge der Gemeindegebietsreform Ortsteil der Stadt Quedlinburg. Kein Gemeinwesen ist erfreut über den Verlust seiner regionalpolitischen Selbstständigkeit. Doch geschaffenen Tatbeständen trotzig nachzutrauern ist auch keine Lösung. Ein künftiges Zusammengehen wird Kompromisse erfordern, um Gemeinsames gleichermaßen zu nutzen. Das wiederum erfordert eine gegenseitige Bestandsaufnahme, um solche Kompromisse tragfähig zu machen.
Freilich sind die mittelalterlichen kleinstaatlichen Verhältnisse längst vorbei, bei denen das keine 7 km von Gernrode entfernte Quedlinburg gar in einem anderen Land lag, es war preußisch und Gernrode gehörte zu Anhalt. Aber gerade die historischen Zeiten offenbaren viele tragfähige Gemeinsamkeiten zwischen unseren beiden Städten. Daran zu erinnern und das wieder bewusst zu machen, soll eine Aufgabe dieser in loser Folge erscheinenden Beiträge über Gernrode sein. Wer sich detaillierter mit dieser Thematik vertraut machen möchte, dem empfehle ich mein kürzlich erschienenes Buch zur Geschichte von Gernrode. Reichlich illustriert mit mehr als 250 historischen und aktuellen Fotos, wird der Weg Gernrodes von der Ortschaft Geronisroth im 10. Jahrhundert, zur Harzer Kleinstadt der Gegenwart beschrieben.
Mein erster Beitrag soll einem prominenten Jubilar der Stadt gewidmet werden. Unlängst feierten wir Gernroder mit vielen geladenen Gästen den 100jährigen Geburtstag unseres Rathauses.
Der Gernroder Kulturverein „Andreas Popperodt“ gratulierte dem Jubilar mit einem Laienspiel, bei dem in historischen Kostümen die Sponsoren gewürdigt wurden, die vor hundert Jahren an der Ausgestaltung des Rathauses beteiligt waren. Höhepunkt der Gestaltung war die Schlüsselübergabe durch Baurat Starke an den damals amtierenden Bürgermeister Schröder. Der historische Bürgermeister übergab dann den Schlüssel an den amtierenden Bürgermeister Manfred Kaßebaum. Der führte seine geladenen Gäste zu der im Rathaussaal stattfindenden Festsitzung.
Anlass der Feierlichkeiten war die vor 100 Jahren stattgefundene Einweihung des Gernroder Rathauses. Obwohl der bevorstehende 1.Welkrieg den Bau dieses Hauses überschattete, fand im Mai 2014 die Grundsteinlegung für ein neues Gernroder Rathauses statt.
Prominente Gäste bei den Feierlichkeiten waren der Magistrat und das Stadtverordnetenkollegium, die Mitglieder der Rathausbaukommission, Baurat Starke, der Architekt Knoche, die städtischen Beamten und die Handwerksmeister der Baugewerke. Kreisdirektor Dr. Knorr vertrat die höhere, an der Teilnahme verhinderte Prominenz. Bürgermeister Schröder würdigte in seiner Begrüßungsrede die Bedeutung dieses Tages. In den Grundstein wurden zeitgenössische Presseerzeugnisse, Urkunden, Bilder und Münzen gelegt.
"Wir Magistrat und Stadtverordnete der Stadt Gernrode tun hiermit Kund und zu Wissen, dass, nachdem der Bau unseres neuen Rathauses am 1.April im Jahre Eintausendneunhundertundvierzehn, das ist im sechsundzwanzigsten Jahre der Regierung des Deutsche Kaisers Wilhelm des Zweiten, und im elften Jahre der Regierung Friedrichs des Zweiten, Herzogs von Anhalt, begonnen und darauf bis zur Errichtung des Kellergeschosses glücklich gefördert worden ist, wir heute Dienstag den fünften Mai desselben Jahres dieses Hauses Grundstein gelegt haben, als welcher der Stein, der 1,5 0m unter Plinte, 5m der rechts von der Achse des Hauptportals und 6m von der rechten Ecke der Eingangsseite liegt, gewählt worden ist."
Dem geplanten Neubau standen zunächst viele Hindernisse im Weg. Nach heftigem Für und Wider über Bauen oder Nichtbauen, über Standort und über die Kosten siegte dann doch die Vernunft.
Nach der Genehmigung des herzoglichen Staatsministeriums wurde ein Baurat Starke mit der Ausarbeitung eines Entwurfs beauftragt, für den 80 000 RM veranschlagt wurden. Nach verschiedenen wunschgemäßen Änderungen, die Baurat Starke an dem Entwurf vornahm, stimmte der Herzog dem Projekt zu. Damit war der Weg für Gernrodes jetziges Rathaus frei. Regierender Bürgermeister und erster Amtsinhaber im neuen Haus war Gustav Schröder. Er erhoffte sich vom neuen Rathaus, dass es alle funktionalen Aufgaben zum Wohle der Stadt erfüllt.
Er sollte auch in seiner "ganzen würdigen äußeren und inneren Ausstattung die Zierde und der Stolz unserer Stadt werden.“ In seiner baukünstlerischen Gestaltung ist das Bauwerk in seiner äußeren Erscheinung prunklos aber ansprechend und trägt dem Gepräge eines städtischen Verwaltungs- und Repräsentationsbaus Rechnung. Mit seinen im schlichten Barock gehaltenen Fassaden, seinem geputzten Mauersteinverband und dem Fachwerk mit Putzflächen passt er sich gut in seine Umgebung ein.
Der Haupteingang des neuen Stadthauses befindet sich in der Südfront des Hauses.
Vom Erdgeschoss führt eine stilvoll gearbeitete, bequeme breite Holztreppe ins Obergeschoss, in dem sich die wichtigsten Funktionsräume befinden. Die Beleuchtung des Treppenhauses erfolgt durch drei große farbige Fenster, die vom Fabrikbesitzer Hoffmann zum Andenken an seinen Schwiegervater Otto Laddey gestiftet wurden. (Beide waren Sponsoren aus der Gernroder Zündholzfabrikation)
Im Obergeschoß befindet sich das Amtszimmer des Bürgermeisters mit einem erkerartigen Vorbau zur Marktstraße hin. Die gediegene Ausstattung fertigte der Quedlinburger Tischler Brämer. Das Eheschließungszimmer befand sich gegenüber. Die stilvollen, farbigen Fenster beider Räume stiftete die Fabrikbesitzerin Margarete Bischof, eine Schwester Otto Frankes, der ein bekannter Sinologe wurde und dessen Vater langjähriger Bürgermeister in Gernrode war.
Den Hauptplatz nimmt im östlichen Flügel der Stadtverordnetensitzungssaal ein, der die ganze Breite des Gebäudes beansprucht. Das Prunkstück des Saals ist der kunstvolle, schmiedeeiserne Kronleuchter aus der Werkstatt des Schmiedemeisters Rinkenberg aus Quedlinburg. Ein umlaufendes Spruchband trägt die Inschrift:
"Ich spende mein Licht den Vätern der Stadt zu wohlweisem Rat und gut deutscher Tat."
Der Sitzungssaal besitzt ein großes dreigeteiltes farbiges Fenster mit künstlerisch ausgeführten Emblemen und Wappen. Sie versinnbildlichen Handel, Industrie, Landwirtschaft und Handwerk. Im Mittelfenster präsentieren sich das Stadt - und Staatswappen, das der Rentner David Sachs aus Quedlinburg stiftete. Die seitlichen Fenster schenkten der Hofapotheker Julius Meyer und der Mühlenbesitzer Müller der Stadt. Alle farbigen Fenster wurden in der Kunstanstalt von Ferdinand Müller in Quedlinburg gefertigt.
Natürlich hatet auch dieses Haus eine Geschichte. Das älteste Gernroder Rathaus soll 1530 erbaut worden sein. Mehr ist von diesem Haus leider nicht bekannt. Das Rathaus mit der längsten Dienstzeit, es war fast 250 Jahre die Verwaltungszentrale der Stadt, wurde kurz nach Beendigung des 30jährigen Krieges in den Jahren 1664 bis 1666 erbaut. Baumeister war der Zimmermann Andreas Bocken, die Baukosten beliefen sich auf 2375 Taler.
Die Äbtissinnen des Stifts waren zwar die Landesherrinnen des Siedlungsgebiets indem Gernrode lag, verwaltet wurde die Stadt jedoch durch die Bürger selbst, denn bereits 1539 verlieh die Äbtissin Anna von Plauen der Stadt Siegel und Wappen und begründete damit das Stadtrecht Gernrodes. Diese Veranstaltung im Stiftssaal des Klosters soll sehr unterkühlt verlaufen sein, verlor doch die Äbtissin einiges an Souveränität und Taburecht.
Die Stiftungsurkunde verlaß der Stiftspfarrer Andreas PopperodtWegen dieser Stadtrechtsverleihung brauchte Gernrode schon bald ein eigenes Rathaus.
Der wichtigste Raum in diesem Rathaus war die Ratsstube, das Beratungszimmer des Magistrats. Hier befand sich auch die Bürgerstube, in der sich die 24 Gemeindevorsteher und die Ausschussbürger versammelten, um Gemeindeangelegenheiten zu besprechen.
Mittelpunkt einer jeden Stadt ist gemeinhin der Marktplatz mit dem Rathaus und der in Gernrode hat sich in Größe und Gestalt bis in die heutige Zeit kaum verändert.
Die geographischen Bedingungen ließen keine Optionen dafür. Er hat wohl eher einen straßenähnlichen Charakter, denn die Straßen schlängeln sich serpentinenartig um das Rathaus herum.
Trotz der beengten Platzverhältnisse war der Rathausplatz auch Austragungsort traditioneller Märkte. Rathaus und Marktplatz wandelten dabei oft ihre äußere Erscheinungsform. Der Platz um das Rathaus blieb ein beständiges Reizthema in Gernrode. Hier liegen auch die Ursachen dafür, dass im Jacobsgarten ein neues Stadtzentrum geplant und gebaut wurde.
Durch die Eingemeindung Gernrodes nach Quedlinburg drohte unserem Rathaus eine weitere „Baustelle“ Gernrodes zu werden. Der Verlust seiner ursprünglichen kommunalpolitischen Verwaltungsfunktionen ließ das befürchten. Inzwischen gibt es eine Kommission, die ein Konzept für eine sinnvolle und angemessene Weiterverwendung unseres Rathauses erarbeitet. Alle Gernroder hoffen auf eine erfolgreiche Arbeit dieses Ausschusses. Es wäre unverzeihlich, wenn die Stadt nach dem Verlust ihrer Ferienheime, des Bahnhofs und der Bahnanbindung auch noch das Rathaus verliert. Zwar ist Gernrode über die HSB, die das größte zusammenhängende Kleinbahnstreckennetz Deutschlands betreibt und befährt, über die Schiene erreichbar. Mit der Schließung der Bahnstrecke Aschersleben- Frose ist Gernrode jedoch vom Normalspurstreckennetz der Deutschen Bahn abgekoppelt worden.
Sehenswert ist immer wieder der Ausblick vom Turm des Rathauses auf unser schönes Städtchen am Harzrand. Die Hanglage des Hauses ermöglicht diesen beeindruckenden Blick auf unsere Heimatstadt.
Klaus Okesson
Gernroder Kulturverein „A.Popperodt“
(Wird fortgesetzt)